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Christus am Ölberg

Passionsgeschichte, Bild 222

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Was für ein Kontrast zwischen Finsternis und wenigen Lichtakzenten! Das Matthäusevangelium überliefert das Gebet Christi im Garten Gethsemane am Ölberg in der Nacht vor der Gefangennahme: „Mein Vater, wenn es nicht möglich ist, dass dieser Kelch an mir vorübergeht, ohne dass ich ihn trinke, dann geschehe dein Wille!“ Der Maler Jan Gossaert entscheidet sich, dieses Gebet in fast völliger Schwärze stattfinden zu lassen. Auf das Gesicht des schlafenden Petrus fällt ein Strahl Mondlicht. Die Jünger Jakobus und Johannes, die Christus begleitet haben und ebenfalls eingeschlafen sind, lassen sich eher schemenhaft erkennen. Auch die Soldaten, die die Festnahme vorbereiten, sieht man nur schattenhaft im Dunklen. Heller erleuchtet sind das kindlich-mystische Gesicht von Jesus und seine betenden Hände. Vor ihm steht auf einem Felsen ein Kelch. Darüber schwebt die Hostie. Blut und Leib, das deutet sich an, werden durch Christus zur Vergebung der Sünden geopfert.

Johann Sebastian Bach hat für „Der Gerechte kömmt um“ einen Chorsatz seines Leipziger Kantorenvorgängers Johann Kuhnau verwendet. Christi Tod und das menschliche Sterben werden darin verbunden. Kuhnaus Text geht zurück auf „Tristis est anima mea“ – „Betrübt ist meine Seele“. Bei Kuhnau beklagt Jesus, dass die Jünger eingeschlafen sind. Bei Bach stammt der Text dagegen aus dem Buch des Propheten Jesaja. Dort heißt es: „Der Gerechte wird sterben, aber niemand nimmt es wahr.“

Kompositorisch erweitert Bach Kuhnaus fünfstimmige Motette um einen Streichersatz und zwei Bläser, die ein Motiv wiederholen: Die Eins ist immer frei, drei Viertel komplettieren den Takt. So entsteht etwas Zwingendes, ähnlich einem Mantra oder einer tickenden Uhr. Dieses Moment wird erst gegen Ende aufgelöst: Nach einer Generalpause mit einem spannungsreichen Akkord ordnet sich alles in den Chorsatz ein. Man hört: Der Mensch wird und ist erlöst.

In der oberen linken Bildecke ist ein sichelförmiger Mond zu sehen, darunter ein Engel. Der Mond beleuchtet das Gesicht Christi im Bildmittelpunkt. Außerdem fällt das Licht auf das Gesicht einer am unteren rechten Bildrand ruhenden Person, neben der ein Schwert liegt. Gegenüber sitzen zwei weitere Figuren, in rotem und blauem Gewand. Im Hintergrund ist eine Stadt zu sehen sowie Bäume und Felsen, der Himmel ist wolkenverhangen. Außerdem kommen mehrere Personen am rechten Bildrand gelaufen, sie tragen Rüstungen und Fackeln.

Musik in voller Länge

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Johannes Kuhnau (1660–1722) | Johann Sebastian Bach (1685–1750)
„Der Gerechte kömmt um“
BWV 1149
RIAS Kammerchor Berlin, Justin Doyle
Akademie für Alte Musik Berlin

Werkangaben

Christus am Ölberg (1509–1510),
Jan Gossaert,
Eichenholz,
85,9 × 63,0 cm

Jörg P. Anders

Detail, Engel

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Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie

Und man sieht den Kelch auch auf dem Felsen vor Christus stehen, und über dem Kelch, gewissermaßen, schwebt die Hostie. Es ist hier dieser ganz starke sakramentale Bezug. Also nicht einfach nur eine Erzählung einer Episode aus der Passionsgeschichte oder quasi fast schon Beginn der eigentlichen Passionsgeschichte, sondern das ist ganz symbolisch natürlich aufgeladen auf diesen Kelch mit der Hostie hin. Das heißt, das, was Christus selber in seiner menschlichen Natur Angst macht und dem er am liebsten ausweichen würde, ist das eigene Opfer, wo er seinen Leib und sein Blut opfert für die Menschheit und von da an ja eben auch im Abendmahl nach katholischer Vorstellung ja auch eben real anwesend sein wird.

Und dieser Engel, ein wunderschöner Engel auch, wie der schwebt, so ganz frei und locker. Also dem nimmt man auch das Himmelswesen ab, dass der da so runtergeschwebt ist. Der Engel bringt ja meistens den Kelch an, und hier ist es ja quasi so. Also der Engel schwebt dahin und stellt den Kelch ab und schwebt wieder hoch. Damit ist die Message klar… weiß Christus ja auch, schließlich ist er auch selber Gott, das ist ihm irgendwie klar. Aber die menschliche Seite möchte, und das ist ja dann auch nur zu menschlich, die Hinrichtung vermeiden, natürlich. Aber es muss angenommen werden. Es ist auch interessant, dass dieser Kelch so ganz zart nur gezeigt wird. Es sind nur diese Reflexe auf dem Gold und diese fast geisterhaft durchsichtige Hostie… also sehr subtil. Es wird nichts so mit dem Vorschlaghammer gezeigt, es wird nicht so das Symbolische, so überdeutlich in den Vordergrund gebracht.

Detail, Christus

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Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie

Ein ganz seltsamer ungewohnter Christus Typ. Er hat so ein merkwürdiges Stupsnasen Gesicht. Das hat mich eigentlich immer gewundert. Irgendwie sieht er so ein bisschen wie so ein Kind oder eine Frau aus. Also, es ist seltsam. Aber bei Gossaert sind die Gesichter häufig mal merkwürdig. Ich glaube nicht, dass da was kindhaftes gemeint ist. Also das kann eigentlich so gar nicht sein. Aber er kniet natürlich, das gehört auch dazu und er bittet. Er hat ja auch Gott angefleht, was den Kelch betrifft.

Detail, Schlafende Jünger

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Aus einem Interview mit Gregor Meyer, künstlerischer Assistent des RIAS Kammerchor Berlin

Die originale Motette von Kuhnau geht zurück auf den Text „Tristis est Anima mea“, also genau die Szene, die wir hier eigentlich sehen: Der betrübte Jesus, der Angst hat und über die eingeschlafenen Jünger sich beklagt. Und Bach hat dann einen Text aus dem Buch des Jesaja aus dem Alten Testament genommen, in dem es darum geht, dass der Gerechte sterben wird und das niemand so richtig wahrnehmen wird. Oder eben auch die Menschheit das ein Stück weit verschläft.

Und dass auch wir damit rechnen müssen, dass wir, wenn wir in Gerechtigkeit sterben, nicht unbedingt das Augenmerk dafür bekommen werden, was wir uns vielleicht verhoffen, aber dass es darum im Kern der Sache nicht geht.

Und Bach macht das in einer sehr interessanten Art und Weise. Die Motette von Kuhnau ist ja eigentlich nur fünfstimmig: zwei Soprane, Alt, Tenor und Bass. Und man kann diese (Stimmen) entsprechend auch sehr beweglich im Tempo anlegen, sehr flexibel. Und es gibt Zäsuren in der Motette, wo es regelrechte Pausen gibt, um der Sache nachzuhören.

Was Bach gemacht hat, ist, dass er einen Streichersatz hinzugefügt hat und noch zwei Blasinstrumente, die durchweg ein und dasselbe Motiv in unterschiedlichen Themen spielen: Immer die „Eins“ in der Pause ist frei, und dann gibt es drei Viertel, die repetierend den Takt komplettieren, und dadurch entsteht etwas Zwingendes im Ablauf des Metrums. Also man hat nicht die Möglichkeit, diese Motette so frei zu gestalten, wie man das bei Kuhnau machen würde, sondern es ist wie ein Mantra oder wie ein Ticken der Uhr. Die Unerbittlichkeit der Abfolge wird durch Bach sozusagen erzwungen. Und erst ganz am Ende, in der letzten Zäsur, die auch Kuhnau vorsieht, akzeptiert Bach diese Zäsur, und es gibt eine Generalpause mit einem spannungsreichen Akkord, und danach verschwindet dieses Mantra, und die Bläser ordnen sich im Chorsatz ein, und das Ganze löst sich auf in das, was die Motette zum Schluss uns sagen möchte: Nämlich, dass wir in den Kammern ruhen und erlöst sind von dem, was uns an irdischen Belastungen zuteilgeworden ist.

Christus am Ölberg
Gemäldegalerie
Hauptgeschoss, Raum VI

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