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Christus im Haus des Pharisäers Simon

Passionsgeschichte, Bild 204

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Das Gemälde zeigt eine Szene, die im Lukasevangelium überliefert ist: Jesus Christus ist in das Haus des Pharisäers Simon zu einem festlichen Mahl eingeladen. Da tritt eine stadtbekannte Sünderin ungeladen an den Tisch. Sie fällt vor Jesus auf die Knie, weint und küsst und trocknet seine tränennassen Füße mit ihrem Haar und salbt sie mit Öl. Der niederländische Maler Dieric Bouts interessiert sich auch für die Reaktionen der Tischgesellschaft, von denen Lukas ebenfalls berichtet. Nicht nur der Gastgeber Simon, der neben Jesus sitzt, auch Petrus und Johannes signalisieren Abwehr. Doch Jesus segnet Maria Magdalena. Lukas überliefert seine Worte: Zur Tischgesellschaft sagt er: „Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe erwiesen“, und zu der Sünderin: „Dein Glaube hat dir geholfen, geh hin mit Frieden!“

An der Szene gänzlich unbeteiligt ist der Stifter des Gemäldes. Er trägt das weiße Ordensgewand der Kartäuser, und obwohl Johannes sich zu ihm gewandt hat, schaut er mit gefalteten Händen unbestimmt in die Ferne.

Die Komposition von Thomas Tallis spricht melodisch und harmonisch eine andere Sprache als das spannungsreichen Geschehen im Bild und die Verse aus Lukas. Das liegt daran, dass es sich um eine Kontrafaktur handelt. Tallis hatte das Stück ursprünglich für einen anderen Text geschrieben, in dem der „Salvator Mundi“, der Erlöser der Welt gepriesen wird. Die hier zu hörende Fassung, die er mit den entsprechenden Versen aus Lukas versehen hat, stammt aus der nachreformatorischen Zeit, in der englischsprachige Texte im Gottesdienst Englands Einzug halten durften. Damit wurden brisante Passagen der Bibel zugänglicher, auch Menschen ohne Lateinkenntnissen verständlich. Die Verse aus Lukas, in der Christus eine geächtete Sünderin über den hochgeachteten Gastgeber erhebt, zählen dazu.

In der Bildmitte steht ein reich gedeckter Tisch. Drumherum befinden sich 6 Personen. Ganz links, kniend, eine Frau, die mit ihrem Haar den rechten Fuß von Jesus streift. Jesus sitzt auf einer Bank, zeigt mit der Hand den Segensgestus und schaut auf die Frau herab. Neben Jesus sitzen drei weitere Personen, die auf die Situation reagieren. Ganz rechts im Bild steht ein Mann in weißem Gewand.

Musik in voller Länge

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Thomas Tallis (1505–1585)
„When Jesus went into Simon the Pharisee’s House“
(Salvator mundi: II), Manuskript 1560
RIAS Kammerchor Berlin, Justin Doyle

Werkangaben

Christus im Haus des Pharisäers Simon (1420–1475),
Dierick Bouts,
Eichenholz,
62,5 × 42,0 cm

Christoph Schmidt

Detail, Sünderin

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Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie
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Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie

Und der Geschichte nach taucht dann eine Frau auf, während des Mahles. Eine Frau, die eine stadtbekannte Hure ist, und sie wirft sich Christus zu Füßen und wäscht seine Füße mit ihren Tränen, trocknet sie dann mit ihren Haaren ab. Das sieht man gerade. Und dann hat sie da schon den kleinen Salbtopf bereitstehen, um sie danach zu Salben. Und Simon der Pharisäer guckt da ja, und der entrüstet sich darüber. Und der sagt dann auch „Ja, ob er denn nicht wüsste, Christus, ob er denn nicht wüsste, was das für eine Frau ist, und lässt sich so von ihr berühren“ und so und die soll raus. Und wie man hier auch so sieht: Petrus findet es auch nicht gut. Aber Christus segnet die Frau. Das ist Maria Magdalena. Und er sagt glaube ich dann auch zu Simon: „Warum sollte ich sie nicht lieben? Sie hat mir mehr Liebe getan als du. Ich kannte sie nicht und sie hat mir die Füße gewaschen und gesalbt. Hast du das getan? Nein. Und ihre Sünden sind vergeben.“ Also es geht um die Vergebung der Sünden. Die schlimme Sünderin wird wegen ihrer Liebe zu Christus wieder angenommen. Ihr wird vergeben, und das ist sicherlich auch der Grund dafür, dass die Darstellung gewählt wurde. Die ist ganz selten. Es gibt also kaum ältere Beispiele, zumindest nicht im Norden als dieses hier.

Detail, Der Stifter

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Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie

Dieser Stifter, der dort kniet, im weißen Gewand. Das ist ein Prämonstratenser. Wir wissen aber nicht, wer es ist. Das ist der Stifter. Und er kniet dabei. Und warum hat er die Szene gewählt? Natürlich genau aus dem Grunde, weil er ist sich dessen bewusst, dass auch er ein Sünder ist. Und er hofft auf die Vergebung dieser Sünden, sozusagen durch die guten Taten. Das Bild stiften ist auch eine gute Tat, und die Liebe zu Christus werden die Sünden vergeben. Darum geht es, und das ist eigentlich auch ganz interessant, auch typisch für die Zeit. Er ist sozusagen hier anwesend, aber natürlich ist er nicht wirklich dabei. Er ist ja keine biblische Person. Und deswegen ist er auch trotzdem irgendwie so isoliert und wie er kniet und guckt, das geht irgendwie in die Richtung, aber irgendwie auch nicht, weil er ist in der Szene natürlich nur geistig anwesend letzten Endes, in seiner Meditation.

Detail, Maler der Stille

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Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie und Gregor Meyer, künstlerischer Assistent des RIAS Kammerchor Berlin

Meyer: Man wartet bei dieser Komposition von Thomas Tallis eigentlich so ein bisschen auf dramaturgische Höhepunkte oder Hinführungen auf Dinge, die irgendwie eine Wendung im Geschehen mit sich bringen. Aber da wartet man vergebens. Und in der Fassung, wie wir es hier hören, ist das aus der nachreformatorischen Zeit, als auch der englischsprachige Text im Gottesdienst Englands Einzug halten durfte. [Musik] Und damit natürlich viele Geheimnisse der christlichen Lehre dem gemeinen Volk erstmals preisgegeben werden konnten.

Und ich stelle mir vor, dass das hier natürlich ein Text ist, der auch für die Hochgeistlichen zunächst mal brisant war, denn es geht um die bedingungslose Vergebung Jesu Christi den Sündern gegenüber. Und das war ja bis dato eigentlich auch ein Pfund, mit dem die Geistlichen wuchern konnten, wenn sie sagen konnten, „Ihr seid die Sündigen und ihr müsst dieses und jenes für uns tun oder für die Kirche tun, um das Heil zu erlangen.“

Und das hat sich mit der Reformation natürlich gewaltig gedreht. Und mehr kann ich zu dem Stück leider nicht sagen, weil einfach nichts passiert.

Kemperdick: Aber das passt ja auch schon wieder ganz gut zu Dirk Bouts, denn irgendjemand, ein lang verstorbener Kollege, hatte ihn mal genannt: Dierick Bouts, de schilder van de stilte, der Maler der Stille. Da ist auch was dran, komischerweise. Die Bilder von Bouts und seinem Umkreis haben ja immer dieses Geräuschlose; es ist so seltsam still, ja, das hat schon so eine Parallelität zu dieser Musik.

Christus im Haus des Pharisäers Simon
Gemäldegalerie
Hauptgeschoss, Raum IV

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