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Das Abendmahl

Passionsgeschichte, Bild 111

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„Tantum ergo sacramentum veneremur cernui.“ – „Lasst uns nun dieses Zeichen anbeten, das vor uns liegt.“ Mit diesen Worten beginnt die vierte der vier Motetten über gregorianische Themen, die Maurice Duruflé für vierstimmigen Chor im Jahr 1960 komponiert hat. Seine von tiefer Verehrung für Christus kündende Motette durchmisst die Zeit. Sie gründet auf einen einstimmigen gregorianischen Hymnus, den Thomas von Aquin im Jahr 1261 komponiert hat. „Das Abendmahl“ des Hausbuchmeisters, ein Gemälde von der Außenseite des sogenannten Speyerer Altars, durchmisst dagegen den Raum: Die Jünger haben sich um den Tisch versammelt. Draußen geht die Sonne unter. Der maßstäblich übergroße Jesus sitzt am Kopfende der Tafel. In seinem Schoß ruht, verdeckt von Haar, Johannes, sein liebster Jünger. Auf dem Tisch steht das Passalamm. Jesus taucht Brot in den Teller ein, auf dem es liegt. Im Matthäusevangelium weist diese Geste den Verrat aus: Judas bekommt diesen Bissen Brot gereicht und ist damit als Verräter markiert. Er hat am anderen Ende der Tafel Platz genommen. Durch den fehlenden Heiligenschein, sein leuchtend gelbes Gewand und sein scharf konturiertes Profil sticht er aus der Schar der Jünger heraus. Irritierend ist auch seine seltsam verdrehte Körperhaltung. Abgewandt vom Tisch steckt Judas ein Messer weg. Man sieht den Beutel, in dem er den Lohn für den Verrat versteckt hält. Brot und Wein sind die Zeichen des Neuen Bundes, der im Abendmahl zwischen Gott und den Menschen geschlossen wird. Er verheißt, dass die Sünde überwunden wird, und das wohnt auch dieser Geste inne. Der Hausbuchmeister hat Sünde und Vergebung zeichenhaft in ein enges Spannungsverhältnis gebracht. Und Duruflé verbindet Sopran und Tenor derart, dass der führenden Stimme im Sopran der Tenor in einem Kanon hinterhergeschickt wird: Jesus geht voran, wir folgen ihm nach.

Um eine große Tafel herum sitzen 13 Personen. Am Kopfende in der oberen Bildhälfte sitzt Jesus, auf seinem Schoß ruhend, in rotem Gewand, Johannes. In der Tischmitte steht ein Teller mit dem Passalamm. Jesus taucht mit seiner rechten Hand Brot in den Teller ein. Um den Teller herum stehen mehrere Kelche und kleinere Teller. Jesus gegenüber, in der unteren Bildhälfte, in gelbem Gewand sitzt Judas, der sich vom Tisch abwendet und ein Messer einsteckt. Außer ihm haben alle einen goldenen Heiligenschein.

Musik in voller Länge

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Maurice Duruflé (1902–1986)
„Tantum ergo sacramentum“
Aus "Quatre Motets sur des thèmes grégoriens", Op. 10
RIAS Kammerchor Berlin, Justin Doyle

Werkangaben

Das Abendmahl (1480),
Meister des Hausbuches,
Nadelholz,
75,6 × 131,0 cm

Christoph Schmidt

Detail, Schlafender Johannes

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Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie

Christus ist ja riesengroß wieder, obwohl er ganz hinten am Tisch sitzt. Und hier gibt es ja dadurch, dass die neben ihm, also Petrus und Jakobus der Jüngere, der aussieht wie Christus, die sitzen daneben, und die sind im Maßstab ja so ähnlich groß, sodass es hier so eine ganz komische, kippende Perspektive gibt, dass die Figur nach hinten ja größer werden. Und da der Tisch und der Raum Perspektive andeuten, werden sie ja quasi noch größer. Und das ist eigentlich auch ganz interessant, also auf eine wahrscheinlich relativ naive Art und Weise geht der Künstler da trotzdem sehr frei mit um, weil man sieht ja bei dem anderen Bild der „Fußwaschung“, dass ihm durchaus klar ist, dass man Raumtiefe dadurch erreichen kann, dass die Figuren nach hinten kleiner werden. Also da ist diese Tiefe ja gegeben, aber hier da geht es eben darum, Christus herauszuheben. Da setzt er sich einfach darüber hinweg.

Da sitzen jetzt die Jünger um den Tisch, Christus in der Mitte und an seiner Seite oder auf seinem Schoß quasi ist Johannes eingeschlafen, auch das irgendwie eine irgendwo witzige Darstellung, weil man von Johannes nur das eine Auge sieht, also quasi ganz verschwunden. Das ist natürlich auch etwas, was dann so das auszeichnet, womit die Zeit des 15. Jahrhunderts experimentiert. In jeder früheren Epoche wäre, Johannes schlafend oder nicht, er hätte sich dann so gegen Christus gelehnt. Aber man hätte natürlich das Gesicht des Heiligen, er ist ja ein ganz wichtiger Heiliger und eine Identifikationsfigur für die Hälfte der männlichen Bevölkerung, die Hans hieß, das hätte man auf jeden Fall gezeigt. Aber hier, da jeder ja weiß, wer das sein muss, kann man so weit gehen, dass man eigentlich nur diesen komischen roten Puschel Haare zeigt und sonst gar nichts. Und dargestellt ist dann natürlich der Moment, es geht weniger darum natürlich, dass Johannes da schläft. Darum geht es auch insofern, als das natürlich durch diese affektive Berührung durch Christus gezeigt wird: das ist der Jünger, den er lieb hat.

Und hier vorne sieht man ja Judas, der steckt gerade sein Messer zurück. Er hat sich offenbar diese Scheibe Brot abgeschnitten, um sie gleich auch einzutunken. Also ist ganz klar, dass man sieht, der sitzt hier ja auch so isoliert. Und derjenige, der neben ihm sitzt, der andere junge, vielleicht Jakobus der Jüngere, guckt da schon so interessiert was er macht. Also es ist klar: das ist der Verräter. Und er hat daher auch diesen dicken Geldbeutel mit den Silberlingen natürlich hängen, für die er Christus dann verraten hat.

Es ist durchaus antijüdisch. Man hatte ja keine Rassenvorstellungen und so, da geht es um den Glauben. Klar und die gelbe Farbe auch - das ist durchaus pejorativ gemeint. Und es ist auch durchaus so eine Ikonografie der Zeit, Judas und auch Juden überhaupt mit dieser gelben Farbe zu identifizieren und häufig auch diese Hakennasen. Also hier scheint das der Fall zu sein. Das ist nicht immer so. Übrigens eben, wenn man an Multscher zurückdenkt, die haben alle, auch die Apostel haben diese Riesenzinken."

Detail, Fliege

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Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie

Fliegen gibt es im fünfzehnten Jahrhundert immer mal, in Realität soll es welche gegeben haben. Aber die gibt es auch in den Bildern immer wieder. Daran haben sich viele moderne Interpretationen hochgerankt, dass die Fliege ja vielleicht teuflisch sei oder so. Auf der anderen Seite gibt es Bilder, da sitzt die Madonna und auf ihrem Knie sitzt eine dicke Fliege. Also, das ist irgendwie… Ich glaube, das sind so moderne Überinterpretationen. In Wirklichkeit geht es da um eins, das letzten Endes ein antiker Gedanke ist. Die Betrachter sollen staunen: „Huch, da ist hier eine Fliege“, und dann versuchen sie wegzuscheuchen. Und dann zeigt der Maler auf die Weise: „Ha, dich habe ich rangekriegt. Du hast gar nicht gesehen, dass ich die gemalt habe, die Fliege.“

Detail, Judas

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Aus einem Interview mit Gregor Meyer, künstlerischer Assistent des RIAS Kammerchor Berlin

Auf dem Bild kann man sehr schön sehen, wie die Sünde der Vergebung eigentlich diametral gegenübersitzt. Also Jesus Christus auf der einen Seite mit einem sehr wohlwollenden Gesichtsausdruck und auf der anderen Seite Judas, der eben im Grunde genommen schon mittendrin ist in seinem sündigen Verfahren des Verrats. Er dreht sich auch weg. Es scheint ihn vielleicht auch unangenehm zu berühren, dass er weiß, dass es die Vergebung geben wird.

Was ich besonders toll finde an dieser Motette ist, das Maurice Durufle die Nachfolge Jesu in dieser Vergebung so komponiert, indem er den Tenor, also die dritte Stimme von oben, in einem Kanon dem Sopran hinterherschickt. Jesus geht voran, und wir folgen ihm nach, und daraus entsteht etwas sehr harmonisches, friedvolles. [Musik]

Das Abendmahl
Gemäldegalerie
Hauptgeschoss, Raum

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