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Die Grablegung Christi

Passionsgeschichte, Bild 941

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Im Johannesevangelium heißt es: „Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn dahingab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben!“ Der englische Komponist John Stainer hat Ende des 19. Jahrhunderts diese Worte in einem Hymnus vertont. Er wird oft einzeln aufgeführt, gehört aber zu dem Oratorium „The Crucifixion“, das vielen als das wichtigste englische musikalische Werk zur Passion gilt. „God so loved the World“ ist in D-Dur, einer freudvollen, üblicherweise in der Passionsmusik nicht vorkommenden Tonart komponiert, um die gütigen und machtvollen Worte aus dem Johannesevangelium zu unterstreichen und die Liebe Gottes als Schlüssel der Erlösung zum Leuchten zu bringen.

Die spektakuläre „Grablegung“ des Sieneser Malers Simone Martini scheint zunächst in einem direkten Kontrast zu dem Hymnus zu stehen. Der Moment vor der Grablegung wird dramatisch ausgestaltet: Die Gottesmutter Maria hält ihren toten Sohn in den Armen. Maria Magdalena, im roten Kleid und mit langen Haaren, ist in Wehgeschrei ausgebrochen; die Frauen zu ihrer Linken klagen oder raufen sich die Haare. Nikodemus und Josef von Arimathäa salben den Leib Christi mit Öl. Johannes verbirgt seine Tränen in seinem roten Gewand, es mutet modern an, dass er versteckt, was doch zu sehen sein soll. Auffällig ist, dass der Leib Christi hier als ein berührbarer dargestellt ist.

Der Dramatik des Geschehens entgegen wirkt sein Antlitz. Es ist ruhig, gefasst und friedlich, und verweist damit schon auf die Erlösung durch die Auferstehung.

In der Bildmitte ist Jesus, auf einer Trage liegend zu sehen. An seiner Seite Maria, trauernd, in blauem Gewand. Sie und sechs andere um die Trage herum haben einen Nimbus. An den linken Bildrand gedrängt befinden sich außerdem viele andere Menschen mit verzerrten, traurigen Gesichtern. Eine Frau in rotem Kleid hebt die Arme in die Luft und schreit. Im Hintergrund sind Bäume, Palmen und Büsche vor einem rötlichen, dunklen Himmel zu sehen.

Musik in voller Länge

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John Stainer (1840–1901)
„God so loved the world“
Aus: “The Crucifixion”
RIAS Kammerchor Berlin, Justin Doyle

Werkangaben

Die Grablegung Christi (1335–1340),
Simone Martini,
Pappelholz,
16,7 × 23,0 cm

Christoph Schmidt

Detail, Alter Ego Magdalena

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Aus einem Interview mit Neville Rowley, Kurator der Gemäldegalerie

Die Heiligen. Wir können sie erkennen. Zum Beispiel, mittig im Hintergrund ist Maria Magdalena, weil sie lange Haare hat, sie ist in Rot gekleidet, und sie weint offensichtlich. Aber die Figur etwas links ist auch in Rot mit langen Haaren. Das ist ein Alter Ego der Magdalena. Sie kann nicht die Magdalena sein, weil sie keinen Heiligenschein hat. Das ist ein bisschen ein Spiel des Malers, der eine Variation vornimmt. Diese Figuren sehen ähnlich aus, aber sie sind unterschiedlich. Ja, wenn man Kunstgeschichte studiert, ist man daran gewöhnt oder trainiert, diese Heiligen zu identifizieren. Wer hat welche Kleidung an? Braun ist der Heilige Franziskus. Ist es Rot, zum Beispiel, ist wahrscheinlich die Magdalena mit langen Haaren. Das ist eine kanonische Repräsentation.

Detail, Hintergrund

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Aus einem Interview mit Neville Rowley, Kurator der Gemäldegalerie

Dieser Hintergrund gefällt mir sehr. Das passt sehr gut zur Atmosphäre. Wir sind am Abend des Karfreitags. Man sagt immer, dass Christus, weil er es auch gesagt hat, laut den Evangelisten, nach drei Tagen auferstehen würde. Das sind eigentlich nur ein Halbtag, denn von Freitagabend bis Sonntagmorgen ist nur ein Halbtag. Aber Freitag, Samstag, Sonntag - laut der Liturgie, sollte das passen. So wirkt es sehr gut mit diesem traurigen Moment, die Sonne ist weg und es ist Nacht. Und dann passiert am Samstag nichts. Und am Sonntag, wenn die Sonne zurückkommt, dann ist Auferstehung. Diese Landschaft ist jedoch anachronistisch; sie wurde zu einem späteren Zeitpunkt gemalt. Ursprünglich war es ein goldener Hintergrund, wie bei anderen Werken dieser Zeit. Die Darstellung von Landschaften begann in dieser Periode. Aber das ist nicht der Fall bei dieser Landschaft. Sie wurde sicherlich von einem späteren Maler realisiert, möglicherweise von Sano Di Pietro, dem sogenannten Meister der Osservanza (Kirche in Siena), der im fünfzehnten Jahrhundert viele Modelle von Martini bearbeitet hat.

Detail, Friedlichkeit in D-Dur

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Aus einem Interview mit Gregor Meyer, künstlerischer Assistent des RIAS Kammerchor Berlin

Was spannend ist bei dem Stück, ist die Wahl Tonart. Denn D-Dur ist eben etwas sehr Leuchtendes, was sehr Freudvolles, etwas sehr aufrichtendes und eigentlich eine Tonart, die in der Passion nicht vorkommt. Und das ist ja hier mit der Grablegung wird ja diese Geschichte, die Passionsgeschichte nicht abgerundet. Aber es ist eine Gemarkung im Passionsweg. Und man sieht auch hier, wie die Trauer, natürlich, der einzelnen Personen, die Verzweiflung auch im Vordergrund steht. Aber hier ist es wieder Jesus als derjenige, den es direkt betrifft, trotzdem mit einer großen Friedlichkeit im Gesichtsausdruck, meine ich, glaube ich, zu sehen, diesen Weg geht, um für uns eben die Lösung herbeizuführen und die Sünden von uns zu nehmen und uns das ewige Leben zu schenken.

Und das ewige Leben ist bei Stainer in der Komposition eben besonders stark hervorgehoben. Wir haben ein dreiteiliges Werk und im Refrain wird das ewige Leben aufgerichtet zu einem großen Jubilus.

Und das Ganze wird versehen mit der Liebe Gottes, die eben so groß war, um den Menschensohn hierher zu schicken, auf die Welt. Also die Liebe Gottes als Schlüssel zu unserer Erlösung.

Die Grablegung Christi
Gemäldegalerie
Hauptgeschoss, Raum 40

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