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Die Kreuztragung Christi
Passionsgeschichte, Bild 101
Audio-Transkription
Sein Blick geht durch Mark und Bein: Jesus ist auf dem Weg nach Golgatha, von einem Henkersknecht wird er am Strick vorwärts gezerrt. Die Dornen der Krone, die man ihm zum Spott aufgesetzt hat, haben sich tief in seine Stirn gebohrt. Blut fließt. Als einziger in dem Tross von Menschen auf dem Gemälde schaut Jesus direkt in Richtung der Betrachtenden. Das Kreuz, das er zur Schädelstätte Golgatha tragen muss, lastet schwer. Simon von Cyrene, der gezwungen wurde zu helfen, scheint widerwillig. Der Ausdruck in den Gesichtern der Soldaten und der Schaulustigen in der Szene wirkt verschlagen. Auch die Kinder, die Jesus mutwillig mit Steinen bewerfen, zeigen kein Mitleid mit dem Geschundenen. Maria, Maria Magdalena und Johannes blicken hier eher verhalten drein. Etwas Derbes und Bäuerliches geht von dieser Kreuztragung aus.
Die Frage „Wer hat dich so geschlagen?“, die im Choral der Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach gestellt wird, steht beim Anblick dieses Gemäldes umso deutlicher im Raum. Sie meint in der Anrede an Jesus: Wie kann es sein, dass du diesen Weg jetzt auf dich nehmen musst? Und wer hat das veranlasst? Der Choral gibt die irritierende Antwort in der zweiten Strophe: „Ich, ich“. Die Selbstanrede in ihrer Wiederholung unterstreicht, dass Christus Mensch und auch schuldig geworden ist. Er stirbt als Gottes Sohn und Mensch im Dienst aller Menschen, auf dass sie mit ihm auferstehen. Bachs Choral bildet in vielfacher Weise Christi Weg durch die Qual hin zur Auferstehung nach. In den Worten „geschlagen“ in der ersten Strophe und „Sünden“ in der zweiten Strophe ist die Harmonik dissonant gestaltet. Das Stück schließt mit einem Wohlklang. Auf Marter und Pein folgt die Auferstehung. Durch die Kreuzigung erfüllt sich der Ratschluss der Erlösung.

Musik in voller Länge
Johann Sebastian Bach (1685–1750)
„Wer hat dich so geschlagen“
Aus: "Johannes-Passion", BWV 245
RIAS Kammerchor Berlin, Justin Doyle
Werkangaben
Die Kreuztragung Christi (1437),
Hans Multscher,
Tannenholz,
141,1 × 151,0 cm
Jörg P. Anders