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Die Kreuzigung Christi

Passionsgeschichte, Bild 952

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Was für eine symbolische Kraft doch in diesem Bild liegt! Obwohl Giotto oft als ein Maler gilt, der den Realismus in der Kunst gestärkt hat, spricht dieses Bild eine andere als realistische Sprache. Christus ist hier maßstäblich übergroß. Er überragt am Kreuz all die Menschen, die sich auf Golgatha versammelt haben und bildet das unmissverständliche Zentrum des Geschehens. Unter dem Kreuz erkennt man unter den vielen Menschen Maria, blau gekleidet und in Tränen aufgelöst. Sie wird von Johannes getröstet, den Christus ihr vor seinem Tod als Sohn anvertraut hat. Maria Magdalena im roten Gewand, ebenfalls in tiefster Trauer, hält das Kreuz umklammert. Blut fließt vom Kreuzbalken zu ihr herunter. Schaut man bei dem sehr alten und in Teilen nicht mehr in seiner ursprünglichen Leuchtkraft erhaltenen Gemälde genau hin, so sieht man, dass die Engel das Blut Jesu in Schalen auffangen. Hier findet sich ein direkter visueller Verweis auf die Einsetzungsworte des Abendmahls. Die Wandlung von Wein zu Blut in ihrer ganzen göttlichen Gnade wird vollzogen: „Christi Blut, für dich vergossen“.

Die Größe und Gnade Gottes deutet auch Anton Bruckner in der Motette „Christus factus est“ musikalisch aus. Die Verse „Christus ward für uns gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Daher hat ihn Gott erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen“ wird für das Durchgangsstadium des Todes in sehr tiefe Noten übersetzt. Dem gegenüber stehen sehr exponierte Stellen. Der Chor bringt in gespannten hohen Tönen diese Erhöhung von Christus am Kreuz zum Klingen Von ihm heißt es: „der größer ist als alle Namen“. Jesus ist hinabgestiegen in das Reich des Todes, um erhöht zu werden. Das ist auch den Gläubigen verheißen. Sie werden nach dem Tod auferstehen.

Die Bildmitte ist von einem maßstäblich übergroßen Jesus am Kreuz erfüllt. Er ist von Engeln umgeben, die auf goldenem Grund um ihn schweben. In der unteren Bildhälfte steht eine Menschenmenge, die größtenteils zu ihm heraufschaut. Links stehen vier Figuren mit Nimbus, darunter ganz links, in blauem Gewand, Maria, die von Johannes zu ihrer Linken, in rotem Gewand, getröstet wird.

Musik in voller Länge

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Anton Bruckner (1824–1896)
„Christus factus est“
WAB 11
RIAS Kammerchor Berlin, Justin Doyle

Werkangaben

Die Kreuzigung Christi (um 1315-1320),
Giotto,
Pappelholz,
36,2 × 59,0 cm

Volker-H. Schneider

Detail, Über den Menschen (Details: Füße)

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Aus einem Interview mit Gregor Meyer, künstlerischer Assistent des RIAS Kammerchor Berlin

Es gibt sehr viele Stellen, wo sich die Linien sehr demonstrativ nach unten bewegen, also wo der Tod als die Durchgangsstation symbolisiert wird. Und es gibt sehr exponierte Stellen, wo der ganze Chor ganz nach oben muss und in sehr gespannter Lage diese Erhöhung des Kreuzes oder Jesus am Kreuz im Prinzip klanglich auch zum Ausdruck bringt. Und die letzte Zeile dieses Hymnus heißt „quod est super omne nomen“ also der Name, der über allem steht und Bruckner hat in seiner Komposition nahezu die Hälfte der Zeit nur für diese Zeile eingeplant und in ganz verschiedener Art und Weise immer wieder musikalisch ausgedeutet. Womit im Prinzip sich auch herausstellt, dass das die zentrale Aussage dieser Motette auch ist. Also dass Jesus vom Mensch werden her den Tod gestorben ist, um wieder zu Gott zu werden, um über uns allen zu stehen und von Gott, seinem Vater, den Namen, nämlich des Heilands, des Messias, des Welterretters zu erhalten, von dem wir alle profitieren. [Musik]

Detail, Blut

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Aus einem Interview mit Neville Rowley, Kurator der Gemäldegalerie

Die Eucharistie bleibt einer der wichtigsten Riten der christlichen Religion. Und man sieht, dass die Präsenz des Blutes so wichtig ist, dass man, wenn man das Kreuz unten anschaut, das Blut bis durch die Magdalena laufen sieht, die auch in Rot gekleidet ist. Und es kommt hier bis zu uns in den Vordergrund. Da war wahrscheinlich unten ein Tabernakel oder das hat eine Verbindung mit uns, die diesen tragischen Moment so erhöht. Das heißt, in dem Realismus geht es nicht nur darum, etwas in 3D zu zeigen, wie es Giotto konnte, sondern hier handelt es sich um einen anderen Realismus. Die Idee ist, dass dieser tragische Moment der Kreuzigung, insgesamt der traurigste Moment des Christentums, uns nahe ist. Man kann sich vorstellen, dass am Karfreitag, wenn jedes Jahr diese Kreuzigung wiederkommt oder wiederkam, weil in der Zeit von Giotto die Religion viel prägnanter war, oder die christliche Religion in Italien viel dominanter als heute. Sie war fast alles oder alles im Glauben. Man kann sich vorstellen, wie tief diese Gefühle, diese Präsenz von Blut, für die Zuschauer der damaligen Zeit wichtig waren.

Detail, Emotionale Engel

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Aus einem Interview mit Neville Rowley, Kurator der Gemäldegalerie

Diese Idee, auch diese Entscheidung von Giotto, solche Gefühle zu zeigen, wie die Tränen, wie die Trauer, ist auch eine Neuigkeit von ihm. Und man kann das am besten an den Engeln oben sehen, die ja fast nicht mehr da sind. Aber man kann sehen, dass sie unterschiedlich sind. Einige trauern, andere nehmen das Blut von Christus auf. Sie trauern um den Tod von Gott. Niemand hier weiß von der Auferstehung, die in drei Tagen kommen wird.

Die Kreuzigung Christi
Gemäldegalerie
Hauptgeschoss, Raum 41

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