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Johannes auf Patmos / Szenen der Passion Christi

Passionsgeschichte, Bild 240

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Zur Passion gehört die Kontemplation. Thomas von Aquins siebenstrophiger Hymnus „Adoro te devote“ eignet sich zur meditativen Versenkung, um Gott tiefer zu ergründen. Auch bei der beidseitig bemalten Tafel „Johannes von Patmos“ handelt es sich wohl um ein Andachtsbild, das meditative Betrachtung fordert: Die Rückseite der Tafel nimmt Bezug auf die Passion. Das Bild steht in der Tradition der Grisaille-Malerei, die, in Grautönen gehalten, für die Außenseiten von klappbaren Altarbildern verwendet wurde. Ein kleiner Kreis und ein großer Kreis sind, einem Auge mit Pupille und Iris ähnelnd, um eine gemeinsame Mitte angeordnet. Umgeben sind die Kreise von tiefer Schwärze, in der sich Monstren tummeln: Ein Wesen auf Schlittschuhen bläst Feuer aus dem Hinterteil, scharfzähnige große Fische fressen kleinere. In der Darstellung der Stationen des Kreuzwegs von der Gefangennahme bis zur Grablegung im zweiten Kreis fehlt die Auferstehung. Leiden und Marter stehen hier gegenüber der Erlösung im Vordergrund. Im Zentrum des Gemäldes sieht man einen Pelikan, der sich die Brust aufreißt, um seine Jungen zu ernähren. Nach der frühchristlichen Symbolik der Tiere ist der Pelikan ein Symbol für Christus, der sein Leben für die Menschen gibt. Der Vogel sitzt auf einem Felsen, aus dem das Höllenfeuer raucht. Thomas von Aquins Hymnus bewegt sich auf die siebte Strophe hin von Gottvater zu Christus. In der sechsten Strophe taucht der Pelikan auf, um mit dem Blut aus seiner Brust seine Brut zu füttern. Übertragen heißt das: Christus befreit uns, seine Kinder, mit seinem Blut von den Sünden und nährt uns mit Gutem.

Das Bild zeigt einen dunklen Grund, auf dem schemenhaft Gestalten zu erkennen sind. Im Zentrum hebt sich eine runde, monochrome Bildfläche ab. Der äußere Ring zeigt verschiedene Szenen der Passion Christi. Zu sehen sind Menschengruppen, Elemente einer Stadt, Berge und Felsen. In der Mitte ist ein kleinerer Kreis, auf dem ein aus dem Wasser ragender Fels zu sehen ist. Darauf sitzt ein großer Vogel mit ausgebreiteten Flügeln. Unten im Fels brennt ein Feuer.

Musik in voller Länge

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Gregorianisch, nach Thomas von Aquin (1225–1274)
„Adoro te, devote“
RIAS Kammerchor Berlin, Justin Doyle

Werkangaben

Johannes auf Patmos / Szenen der Passion Christi (um 1495/1500),
Hieronymus Bosch,
Eichenholz,
43,2 × 62,0 cm

Volker-H. Schneider

Detail, Pelikan

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Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie und Gregor Meyer, künstlerischer Assistent des RIAS Kammerchor Berlin

Kemperdick: Ein Felsen, eine ganz komische Szenerie und auch eine einmalige Darstellung. Inmitten dieser Landschaft erhebt sich so ein Felsen, in dessen Inneren so ein rußiges Feuer glost. Das ist etwas höllisches, so ein Feuer, was so raucht und schwärzelt, wie in einem Kamin, der nicht richtig zieht. Das ist das Höllenfeuer, das ist ganz klar. Und obendrauf ist der Pelikan mit seinem Nest. Das ist so ein traditionelles Symbol Christi. Der Pelikan reißt sich dann nämlich mit seinem Schnabel die Brust auf, um seine Jungen zu füttern. Das heißt ein Symbol Christi, der sich selber opfert, oder Gottes, der sich selber opfert, um die Menschheit zu retten. [Musik]

Meyer: Der Pelikan, der als Symbol für Christus steht, nämlich der Pelikan, der sich selbst die Brust zerreißt, um mit dem Blut, was aus dieser Brust fließt, seine Kinder, seine Brut zu füttern. Und das im übertragenen Sinne für Christus, der uns mit seinem Blut von den Sünden befreit und uns damit nährt – mit gutem Dingen. Das kommt sowohl auf diesem Bild als eben auch in diesem Hymnus zum Tragen.

Detail, Monster

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Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie

Also das ist alles so kleinteilig. Das ist natürlich überhaupt nicht auf Fernsicht berechnet, sondern das soll man von ganz Nahem angucken. Und dann sieht man auch erst die Monster. Und es ist sicherlich so gedacht, dass man sich dann da hinein vertieft, sozusagen immer mehr anfängt zu gucken. Diese Monstren, das ist natürlich die Freude an der Geisterbahn irgendwie. Man erfreut sich an den Monstren und diesen ganzen verrückten Erfindungen, das ist ja klar. Also diese ganzen Bilder, die funktionieren auch immer auf zwei Ebenen, nämlich nicht nur der meditativen oder frommen, das ist ganz klar bei der ganzen 15. Jahrhunderts Malerei, das wissen wir auch aus Texten der Zeit, das sind auch immer Kunstwerke. Und zwar Kunstwerke, an denen man dann auch die unglaublichen Fähigkeiten des Malers und die Möglichkeiten der Malerei und die absonderlichen Erfindungen und tollen Details bewundert.

Detail, Passionsszenen

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Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie

Das ist mal wieder so die höllische Welt eines dunklen, nicht von Gott erlösten Chaos. Und die Welt selbst, da muss man ja sagen, also ein traumhafter Platz ist sie ja nicht gerade, sie ist trüb, eine graue, eine schreckliche, eine böse Welt und in der findet die Passion statt, und es fängt hier mal wieder mit dem Ölberg an.

Hier kniet Christus, und da sind seine schlafenden Jünger, und hier kommen schon mit so einer Fackel die Häscher an, und von hier geht es dann zur Gefangennahme. Da kommt jetzt auch die Malchus Szene: Petrus schlägt dem Malchus, der seine Lampe verloren hat, das Ohr ab und Christus wird es gleich wieder ansetzen. Und dann Christus vor Pilatus. Hier, das ist der Palast von Pilatus, ein merkwürdig fantastisches orientalisches Gebilde, wo Christus gegeißelt wird.

Und hier noch so ein Teil des Palastes. Mit lauter Götzenbildern dran. Hier wird Christus die Dornenkrone aufgedrückt, und hier geht es dann nach Golgatha, und da sieht man wieder Christus, auch wieder als riesige Gestalt, fast ein bisschen wie bei Multscher, auch gigantisch groß, man muss ihn ja auch erkennen, wie er sein Kreuz da hochschleppt. Und hier ist dann zum Schluss in der Mitte die Kreuzigung zu sehen. Auch da sieht man diese beiden irgendwie so heuschreckenhaften Schächer, die da, so leichnamsartig, wirklich fast schon verwest aussehen, so hängen. Und hier übrigens der böse Schächer, der abgewendet ist von Christus, und der andere neigt sich ihm hin. Unten dann Maria und Johannes, die da alleine stehen. Und hier noch eine Frau, die nicht zu den Heiligen gehört, mit ihrem Kind eilt die da so durch diese verlassene Landschaft. Und hier die Grablegung Christi dann wieder vor so einer niederrheinisch anmutenden Landschaft. Allerdings wirklich bei schrecklichem, grauen Herbstwetter und Überschwemmung. Also alles das, was man nicht mag.

Die Auferstehung und all diese positiven Sachen, die fehlen hier komplett. Es ist also die schreckliche erlösungsbedürftige Welt – immerhin mit der Erlösungstat. Und auf die verweist dann auch dieses Auge in der Mitte.

Johannes auf Patmos / Szenen der Passion Christi
Gemäldegalerie
Hauptgeschoss, Raum 6

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