6 / 12

Kaufmannsche Kreuzigung

Passionsgeschichte, Bild 233

0:00 0:00

Audio-Transkription

Hendryk Góreckis „Jesu Christe frater noster” erzählt in fünf Strophen Szenen der Passion, die auch auf diesem Gemälde aus dem 14. Jahrhundert zu sehen sind. Das Gemälde zeigt die Kreuzigung auf Golgatha. Jesus am Kreuz empfängt den Lanzenstich durch den blinden Longinus. Als das Blut aus Jesu Seitenwunde dessen Augen benetzt, kann er wieder sehen. Die beiden mitgekreuzigten Schächer sind regelrecht auf ihre Kreuze geflochten. Engel mit Weihrauchfässern schweben trauernd über dem Kreuz. Unter den vielen Figuren, die sich unter dem Kreuz versammelt haben, fällt eine durch ihre Geste auf: Rechts im roten Gewand, mit Herzogshut und erhobenem Zeigefinger, steht der Gute Hauptmann. Das Matthäusevangelium erzählt, er habe nach Christi Tod gesagt: „Wahrhaftig, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“

Im Gewimmel gut zu erkennen sind auch die Soldaten, die rechts vorne um die Gewänder des Gekreuzigten würfeln. Links vom Kreuz stehen Maria und Johannes eng beieinander, Maria Magdalena umklammert trauernd das Kreuz.

Sehr detailliert hat der nicht namentlich bekannte Maler Körper, Haltungen und Gesten der Figuren und deren Gesichter dargestellt. Auch die Gewänder in prächtigen Farben und kunstvollem Faltenwurf, Christi Lendentuch und der Boden sind extrem plastisch. Der Maler hat dort Spalten und Rücksprünge eingearbeitet. Das erzeugt große Tiefe. Górecki kommt mit vergleichsweise wenigen Tönen aus, um all das zu vertonen, was in den Strophen des Liedes beschrieben wird: das fließende Blut, das Sterben Jesu, den Boden, der sich auftut, Maria, die am Kreuz steht. Die Mittelstimmen, Alt und Tenor, singen lediglich vier, die Randstimmen Bass und Sopran fünf bis sechs Töne. Zwei zweitaktige Phrasen sind symmetrisch angeordnet und werden von zwei viertaktigen ergänzt. „Jesu Christe frater noster” endet mit einer bittenden Anrufung des Bruders Jesus: „Erbarm dich über uns“.

Schlanke Tafel, deren obere Ecken abgeschnitten sind. Auf goldenem Grund wird die Bildfläche durch drei Kreuze unterteilt. In der Mitte hängt Christus am Kreuz. Zwei weitere Personen an je einem Kreuz links und rechts davon. In der unteren Bildhälfte befindet sich eine dichte Menschenmenge.

Musik in voller Länge

0:00 0:00

Henryk Górecki (1933–2010)
„Jesu Christe, frater noster“
Aus: "Kirchenlieder", Op. 84
RIAS Kammerchor Berlin, Justin Doyle

Werkangaben

Kaufmannsche Kreuzigung (um 1340),
Unbekannter Künstler,
Leinwand,
68,0 × 30,0 cm

Jörg P. Anders

Detail, Adams Schädel

1
0:00 0:00

Audio-Transkription

Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie

Das ist also Adams Schädel, der an der Stelle beerdigt worden ist, wo das Kreuz später steht, und das tropft dann drauf. Und dann wird Adam wieder lebendig werden. Es gibt sogar aus etwas früheren Zeiten Darstellungen, wo unten dann wirklich Adam wieder aus einer Höhle rauskommt.

Detail, Longinus Lanzenstich

2
0:00 0:00

Audio-Transkription

Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie

Da sehen wir also Christus, der hier am Kreuz hängt, blutend, und gerade eben den Lanzenstich hier empfängt von Longinus. Longinus ist blind, und als ihn das Blut Christi benetzt, wird er wieder sehen. Deswegen hat er hier immer diesen Gehilfen dabei, der die Lanze führt, weil Longinus das sonst nicht sehen kann, der ist dort und hier auf der anderen Seite dann Stephaton mit dem Ysop und dem Essigschwamm, also das ist noch einmal so eine extra Quälerei. Christus hat ja vorher gesagt, natürlich bevor er stirbt, „mich dürstest“. Und der tränkt dann so einen Schwamm mit Essig und gibt ihm das, also eher der Negative.

Detail, Symmetrie

3
0:00 0:00

Audio-Transkription

Aus einem Interview mit Gregor Meyer, künstlerischer Assistent des RIAS Kammerchor Berlin

Wenn ich auf das Bild zugehe und es im ersten Eindruck auf mich wirken lasse, entsteht in mir selbst eine relativ große Unruhe, weil man das Gefühl hat, dass hier unglaublich viel los ist, auf wenig Platz ist sehr viel Szene untergebracht, und für mich ist es aber so: mit längerem betrachten kehrt so eine Ordnung ein. Oder ich glaube dann auch, die bewusste, symmetrische Anordnung erkennen zu können, mit der Anzahl der Personen auf der linken und rechten Seite. Maria Magdalena im Zentrum, am Fuße des Kreuzes, die beiden Schächer links und rechts und auch die beiden Engel.

Auch bei Goretzky haben wir eine sehr symmetrische Anordnung der Phrasen in diesem Stück und das Ganze auf fünf Strophen aufgeteilt, in denen eben auch verschiedene Aspekte und Szenen aus der Passionsgeschichte uns erzählt werden. [Musik]

Kaufmannsche Kreuzigung
Gemäldegalerie
Hauptgeschoss, Raum 4

Datenschutz-Hinweise