Bilder
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Miraflores-Altar
Passionsgeschichte, Bild 201
Audio-Transkription
„Weine nicht um mich, Mutter, die du mich im Leib getragen hast ohne Samen.“ In Maximilian Steinbergs Lied für vierstimmigen Chor und Tenor spricht der verstorbene Christus seine Mutter an. Er tut es in einer Stimme, die vital und jung klingt und damit an Jesu Alter zum Zeitpunkt seines Todes erinnert. Die besondere Beziehung zwischen Maria und ihrem Sohn ist auch zentral in der Gestaltung des dreiteiligen Altars, den Rogier van der Weyden für das kastilische Karthäuser-Kloster Miraflores gestaltet hat. Dessen Bildlichkeit ist ins Symbolische gewendet. Der linke Flügel zeigt die Verehrung des neugeborenen Kindes. Josef schläft. Allein Maria betet ihren Sohn an, der ja als Sohn Gottes zugleich ihr Vater ist: Gott tritt durch Jesus in die Welt ein.
Die zentrale Tafel zeigt, silhouettierend gegen die Landschaft gesetzt, die Beweinung Christi. Der steif gewordene Leichnam ist von vom Kreuz abgenommen. Maria hält ihren Sohn wieder so, wie sie ihn als Neugeborenen im Schoß gehalten hat. Die besonders enge Beziehung von Mutter und Sohn drückt sich in dieser Umarmung aus. Johannes und Nikodemus oder Joseph von Arimathäa trösten die trauende Maria.
Die dritte Szene, gedoppelt in einer Simultanszene im Hintergrund, die das Symbolische der Darstellung noch einmal betont, zeigt den Abschied Christus aus der Welt. Vor seiner Himmelfahrt erscheint er Maria. Eine körperliche Annäherung findet hier nicht mehr statt. Denn Christus ist dem Menschlichen bereits entwachsen. Aber Maria ist durch Jesu Auferstehung in ihrem Schmerz getröstet. Maximilian Steinbergs Stück bildet diesen Trost nach: Die Tenorstimme ist im Moment, in dem die Auferstehung verheißen ist, ganz vereinnahmt vom Chorklang: Christus bereitet durch seine Auferstehung den Weg zum Himmel für alle Menschen.
Musik in voller Länge
Maximilian Steinberg (1883–1946)
„Ne lugeas me“
Aus: “Strastnaya sedmitsa“ (Die Passionswoche), Op. 13
RIAS Kammerchor Berlin, Justin Doyle
Werkangaben
Miraflores-Altar (vor 1445),
Rogier van der Weyden,
Eichenholz,
74,3 × 45,0 cm
Christoph Schmidt