7 / 12

Die Kreuzigung Christi

Passionsgeschichte, Bild 234

0:00 0:00

Audio-Transkription

Ein kaum erträglicher Schmerz spricht aus der Musik, die hier zu hören ist, wie auch aus diesem Gemälde. Die dreifigurige Kreuzigung zeigt Maria, Jesus Christus und seinen Lieblingsjünger Johannes. Der spindelförmige Körper Christi mit seinem gerundeten Brustkorb und den gerundeten Hüften wirkt im Vergleich zu den beiden anderen Figuren übergroß. Van Eyck hat das Menschliche und Männliche an Gottes Sohn deutlich inszeniert: Man kann durch das feine Lendentuch das Geschlecht Christi erkennen. Aus der Seitenwunde und aus den Wundmalen tropft Blut, das sich zu verdicken scheint.

Die Gesichter von Maria und Johannes sind verzerrt von den Gefühlen, die beide zu überwältigen scheinen. Sie sind nicht einander zugewandt, wie es häufig in Kreuzigungsdarstellungen der Fall ist. Jeder von ihnen ist im Schmerz so allein wie Christus im Sterben. Ungewöhnlich ist, dass der Maler die Figuren angeordnet hat vor einer alpinen Landschaft und einer imaginären Stadt, die Jerusalem darstellen soll, in der es aber auch eine Windmühle gibt. Über dieser Stadt ist der Mond zu sehen, den Jan van Eyck als erster Maler überhaupt mit seinen Meeren und Kratern dargestellt hat, noch ehe diese von der Astronomie beschrieben wurden. Die harmonische Landschaftsdarstellung kontrastiert mit der Dramatik der Figurengruppe.

Die Komposition für gemischten Chor und Orgel oder Klavier aus der Feder des katalanischen Cellisten Pau Casals nähert sich dem Schmerz von zwei Seiten: Sie durchmisst einen Tonumfang von annähernd vier Oktaven, beginnt und endet extrem tief, erreicht aber in ihrem Verlauf auch eine sehr hohe Lage. Man könnte sagen, die Musik erhebt hier sich gen Himmel. Dagegen schreiten die Harmonien im zweiten Teil des Stückes unerbittlich in fallenden Quinten voran. Christus muss sterben, wie auch der Mensch sterben muss. Mit diesem göttlichen und irdischen Schmerz in seinem ganzen Ausmaß gilt es umzugehen.

In der Bildmitte: Jesus am Kreuz mit blutender Seitenwunde. Links und rechts stehen Maria in blauweißem Gewand und Johannes in blau-rotem Gewand. Ihre Gesichter sind schmerzverzerrt und trauernd. Im Hintergrund eine Stadt vor alpiner Landschaft.

Musik in voller Länge

0:00 0:00

Pau Casals (1876–1973)
„O vos omnes“
RIAS Kammerchor Berlin, Justin Doyle

Werkangaben

Die Kreuzigung Christi (1425–1440),
Jan van Eyck,
Leinwand,
30,2 × 44,0 cm

Eigentum des Kaiser Friedrich Museumsvereins / Christoph Schmidt

Detail, Mond

1
0:00 0:00

Audio-Transkription

Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie

Eine Windmühle. Eine Bockwindmühle, sowas hat es natürlich zu Zeiten Jesu Christi nicht gegeben. Windmühlen sind eine mittelalterliche Erfindung, aber sie belebt natürlich die Landschaft ungemein. Und was dieser Künstler da auch erkannt hat, ist, wie schön sich die Silhouette so einer dunklen Mühle vor dem Himmel macht. Und die Ecke ist ja sowieso nicht uninteressant, denn obendrüber schwebt ja der Mond. Und man kann da sehen: Es ist eine Kugel und man sieht sogar so Flecken drauf, das heißt die Maria, diese Meere auf dem Mond – die kann man sehen, und die Darstellung von Jan van Eyck, diese und verschiedene andere, sind die allerersten Beispiele dafür, dass die Maria auf dem Mond dargestellt wurden. Die kann man ja mit bloßem Auge sehen, kann jeder von uns überprüfen. Und trotzdem hat man die niemals gemalt. Seltsamerweise. Und Jan von Eyck malt sie. Witzigerweise wird erst einige Jahre oder zwanzig, dreißig Jahre später wird erstmals ein Astronom sie beschreiben, in einem Text. Es ist seltsam, nicht? Die sind vorher eigentlich gar nicht wahrgenommen worden. Und das ist natürlich wunderbar. Der Mond spielt ja für Ostern eine große Rolle. Also Christus, gekreuzigt am Karfreitag und am Sonntag auferstanden. Und der Ostersonntag ist ja der erste Sonntag nach Frühlingsvollmond. Das heißt, hier hat man jetzt den abnehmenden Mond offenbar und ja, der Mond wie gesagt bestimmt das Osterfest, deswegen ist klar, dass der in dieser Darstellung auftauchen kann, auch wenn das eine Novität ist.

Detail, Blut

2
0:00 0:00

Audio-Transkription

Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie

Das Blut tropft ja da also wirklich in riesigen Mengen aus dieser riesigen Seitenwunde, da auch läuft das ja runter, und hier tropft die Beine runter und von den Füßen runter bis auf den Boden vor dem Kreuz. Also, das hat ja auch so eine ganz große Dramatik eigentlich, mit diesem vielen Blut, was da geflossen ist. Eigentlich muss man sagen, schon geflossen ist. Aber es fließt immer noch, denn man sieht ja auch hier, es läuft von den Handwunden unten an den Armen runter und trieft dann in so dicken, zähen, klebrigen Fäden herab, quasi auf Maria und Johannes. Auch das übrigens ein Motiv, was es schon früher öfter gibt. Mitunter hat man auch Maria, die auf ihrem Kopftuch oben rote Flecken hat, weil das Blut drauf getropft ist, aber auch hier eigentlich in einer sehr glaubwürdigen, beobachteten Weise eigentlich dargestellt. Denn Blut ist dicker als Wasser, bekanntlich, und es ist ja so zäh, leicht viskos, und das kann man eigentlich ganz schön sehen. Es ist einem fast schon unangenehm, das zu sehen, wenn man sich genau anguckt, wie das so trieft.

Detail, Blick Johannes

3
0:00 0:00

Audio-Transkription

Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie und Gregor Meyer, künstlerischer Assistent des RIAS Kammerchor Berlin

Kemperdick: Mich hat das eigentlich auch immer irritiert, warum Johannes sich auch so stark zur Seite neigt. Gemeint ist natürlich, er tänzelt ja auch so merkwürdig mit seinen Füßen, nicht wahr, mit seinen Beinen, er hat so einen komischen Stand. Dass er die Beine überkreuzt hat, kommt mir fast so vor, als wäre er in so einer Drehbewegung weg. Und das heißt wo so viel wie: Ich kann es nicht ertragen, ich halte es nicht aus. Irgendwie so etwas ist gemeint. Es ist aber eine komische Komposition dadurch. Diese seltsame Wegdrehung, die einen so ein bisschen ratlos lässt, zusammen mit diesen, ja, eben Grimassen artigen Gesichtern sind natürlich auch ein wesentlicher Grund dafür, dass in der Forschung immer wieder gesagt wurde: Das kann doch eigentlich nicht Jan Van Eyck sein, das ist doch vielleicht jemand anders, dem da ein bisschen an Subtilität mangelt. Kann man so sehn, ich würde das nicht unbedingt teilen.

Meyer: Die Tatsache, dass beide Hinterbliebenen nicht zu Jesus aufschauen, schlägt die Brücke zur Komposition von Pau Casals, der eigentlich Solocellist war und hin und wieder in seinem Leben auch komponiert hat. Diese Komposition spielt mit dem Thema Schmerz in zweierlei Hinsicht. Einerseits beginnt das Stück wahnsinnig tief, ein Männerchor setzt vierstimmig ein, im Schmerz tragenden c-Moll, und es endet auch im c-Moll mit einem Kontra-C im zweiten Bass, also unglaublich tiefe Lage nach unten. Aber während der Komposition erreichen wir auch einen extrem hohen Ton im ersten Sopran: ein b2, ganz technisch betrachtet. Das heißt wir haben einen Umfang von fast vier Oktaven – das ist sehr ungewöhnlich für Chormusik. [Musik]

Die Kreuzigung Christi
Gemäldegalerie
Hauptgeschoss, Raum 4

Datenschutz-Hinweise