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Der Ratschluß der Erlösung

Weihnachtsgeschichte, Bild 206

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Was für ein eigenartiges Gemälde! Zwei Geschehen werden hier dargestellt: In der rechten Bildhälfte sehen wir zwei göttliche Kinder. Sie schweben als Embryonen vor den Leibern ihrer Mütter. Einer von ihnen fällt vor dem Christuskind auf die Knie. Es ist der noch ungeborene Johannes der Täufer. Er erkennt im zweiten Embryo, Jesus, den Erlöser. Die Bestimmung Christi, die Menschen von der Sünde zu erlösen, ist im Bild links dargestellt: Gottvater in seinem prächtigen roten Mantel deutet auf die Seiten eines leeren Buchs, während der Sohn demütig den Ratschluss seines Vaters entgegennimmt, Mensch zu werden und sich wie ein Lamm zu opfern.

Der Text der fünfstimmigen Motette „Übers Gebirg Maria geht“ von Johannes Eccard bezieht sich auf das Evangelium nach Lukas, genau wie das Gemälde von Konrad Witz: Nachdem Maria durch den Heiligen Geist ein Kind empfangen hat, besucht sie ihre Verwandte Elisabeth. Obwohl im Grunde zu alt, um schwanger zu werden, erwartet Elisabeth ebenfalls ein Kind. Als die beiden Frauen sich treffen, „hüpft Elisabeth das Kind im Leibe“, heiligt Elisabeth Maria als Mutter Gottes.

Im Lukasevangelium spricht Maria das Magnificat, als Elisabeth in ihr die Mutter Gottes erkennt. Johannes Eccard macht es zum Refrain seiner Motette, die er für den kirchlichen Feiertag „Mariae Heimsuchung“ komponierte. Mit den Worten „Er ist mein Heiland“, bilden die zuvor noch einander ins Wort gefallenen Stimmen eine rhythmische Einheit. Das verdeutlicht: Die Gewissheit der Erlösung ist so unumstößlich wie Gottes Ratschluss.

Vor goldenem Hintergrund sind links zwei Figuren auf einem Thron. Gottvater sitzt auf der Bank, trägt einen roten Mantel und hält einen großen goldenen Schlüssel. Vor ihm kniet Jesus in andächtig in graublauem Gewand. Zwischen beiden ein offenes Buch, vor dem ein kleines Schaf mit Heiligenschein das Lamm Gottes symbolisiert. Über ihnen schwebt eine Taube. Die zwei Figuren rechts im Bild sind Maria und Elisabeth. Sie stehen sich gegenüber, sind beide schwanger und halten je einen Embryo vor ihrem Bauch, die für Christus und Johannes den Täufer stehen.

Musik in voller Länge

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Johannes Eccard (1553–1611)
„Übers Gebirg Maria geht (nach Lukas 1, 46–55)“
RIAS Kammerchor Berlin

Werkangaben

Der Ratschluß der Erlösung (1444),
Konrad Witz,
Tannenholz,
135,3 × 164,0 cm

Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie / Christoph Schmidt

Detail, Buch

1
Ein imposantes Gemälde zeigt eine leere, bewegte Seite zwischen Gottvater und Christus, symbolisiert das Neue Testament. Gottes energische Hand verleiht dem Bild Tiefe, während die leeren Seiten darauf hinweisen, dass das Neue Testament noch geschrieben werden muss.
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Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie

Da ist übrigens noch eine hübsche Kleinigkeit, ein hübsches, aber sehr bezeichnendes Detail, dieses sehr schön gemalte Buch, was da zwischen Gott-Vater und Christus auf der Thronbank liegt. Das blättert sich so wie im Winde auf. Gott-Vater greift da auch ziemlich energisch, fast schon die Seiten knitternd hinein, und was man da schön sieht und deswegen wohl der feste Griff, Gott-Vater sagt auch was, die Seiten sind leer, die müssen noch beschrieben werden. Also das ist das Neue Testament. Das muss noch geschrieben werden, das heißt alles das, was da reinkommt, muss Christus jetzt noch vollbringen.

Detail, Schlüssel

2
Ein großer, goldener Schlüssel mit einem eingravierten Kreuz schwebt über den Händen Gottes. Der Himmelsschlüssel repräsentiert die Binde- und Lösegewalt, die Christus Petrus verlieh, wie im Matthäusevangelium beschrieben.
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Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie

Es sitzt also auf dem Thron Gott-Vater mit einer Tiara wie ein Papst, vor ihm schwebt ein riesiger Schlüssel. Das ist ja eigentlich das Attribut von Petrus, die Lösegewalt, daher kennt man das. Aber hier geht es natürlich genau um die Lösegewalt, um die Menschen von der Sünde zu erlösen oder ihnen vielleicht auch den Himmel aufzusperren.

Detail, Elisabeths Gesicht

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Die rote Figur rechts im Bild ist Elisabeth, die Mutter von Johannes dem Täufer. Ihr stark faltiges Gesicht und fehlender Zahn betonen das göttliche Wunder ihrer späten Schwangerschaft.
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Aus einem Interview mit Stephan Kemperdick, Kurator der Gemäldegalerie und Gregor Meyer, künstlerischer Assistent des RIAS Kammerchor Berlin

Das ganze Bild ist ja in einem positiven Sinne naiv. Es wird ja so ganz naiv genau das erzählt, was man sagen will. Ich finde, das macht auch den Charme dieser Bilder aus. Es ist nicht irgendwie verquast und geheimnisvoll oder irgendwie durch Symbole verdreht und unklar gemacht, sondern es wird wirklich mit aller wünschenswerten Klarheit genau das gezeigt, worum es geht. Die beiden begegnen sich, beide freuen sich. Man sieht ja auch sehr schön gemacht, finde ich, dass Elisabeth eine alte Frau ist, mit diesen vielen, vielen Runzeln und Falten, die sie hat, um die Augen. Der Maler will auch richtig klarmachen, es ist ein Wunder, dass die schwanger geworden ist.

Aber wenn man das mal sieht - es ist ja eine sehr bilderarme Zeit, es gibt ja kaum Bilder, praktisch keine Bilder um die Zeit, die so überzeugend sind, so echt aussehen, dann prägt man sich das ein. Dann hat man es gesehen, dann weiß man wie die Heimsuchung aussah, und das hat einen nicht nur memo-technischen, sondern ich denke, das hat auch so einen ganz starken emotionalen Effekt, den ein Text so gar nicht haben kann.

Für mich ist dieses Stück von Johann Eccard eine perfekte Mischung aus schlichter Schönheit und großer Kunstfertigkeit. Es ist entstanden in einer Zeit, als die deutsche Sprache überhaupt zum ersten Mal Einzug hielt in den Gottesdienst im deutschen Sprachraum. Und ich glaube, es hatte so ein bisschen eine aufklärerische oder pädagogische Komponente, denn wir haben eben in der Bibel die drei Lobgesänge, und eines davon ist das Magnifikat, der Lobgesang der Maria. Und der erklang bisher natürlich nur auf Latein. Und Eccard hat hier diesen Text, dieses Canticum auf Deutsch übertragen. Aber mehr noch – er hat eben auch die Geschichte drum herum erzählt. Also was hat es mit Maria auf sich, die sich eben auf den Weg macht? Und das macht er auf eine sehr eindrückliche Art und Weise, denn die Linien beginnen recht schlicht und eher in der Mittellage. Und als es dann um die ausbrechende Fröhlichkeit über die Schwangerschaft geht, springt der erste Sopran zum höchsten Ton in diesem Stück einen „G“. Und das hat natürlich eine besondere emotionale Wirkung.

Der Ratschluß der Erlösung
Gemäldegalerie
Hauptgeschoss, Raum I

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